Wie
ein Sechser im Lotto
Reisanbau in der Schweiz? Ja! Denn findige Tessiner haben nicht nur
eine aussergewöhnliche Anbaumethode, sondern auch eine Marktlücke
entdeckt.
Franz Bamert
Wo um alles in der Welt soll hier Reis wachsen? Keine bewässerten
Felder, keine Menschen, welche knietief im Wasser stehen. Nur Markus Giger,
der mit dem Traktor in der Nähe von Ascona einsam seine Runden dreht
und rund 52 ha Land ansät. Giger, bei der «Terreni alla Maggia
S.A.» für den Ackerbau zuständig, ist sich die erstaunten
Gesichter der Besucher gewohnt. «Der Reisanbau im Tessin ist nicht
mit den üblichen und bekannten Methoden in Italien oder Asien zu
vergleichen», sagt er und erklärt zunächst geduldig, warum
die Tessiner nicht bei Gemüse- und Maisanbau geblieben sind. «Wir
sind eine AG und als solche erhalten wir keine Subventionen, müssen
also Produkte anbieten, die auf dem Markt einen guten Preis erzielen.
So kamen wir 1997 auf den Reis.» Hinter vorgehaltener Hand wurden
die Tessiner Neo-Reisbauern damals belächelt, schliesslich braucht
Reis eine lange Reifeperiode, viel Wärme und vermeintlich auch viel,
viel Wasser - Wasser, das in den sandig-kiesigen Böden des Maggiadeltas
gleich versickern würde. «Das alles wussten wir», sagt
Giger.
«Aber wir hatten herausgefunden, dass etwa in Sardinien einige Reisbauern
wegen Wassermangels auf künstliche Beregnung ausgewichen sind und
waren überzeugt, dass das bei uns auch funktionieren müsste.»
Blieb noch der vergleichsweise kurze Tessiner Sommer und die Frage, ob
der Reis überhaupt genügend Zeit zum Reifen haben würde.
«Die Wachstumsperiode des Reises dauert lange und es braucht vor
allem in der Blütezeit konstant hohe Temperaturen - sonst gibt es
nichts Gescheites», so Giger. «Also experimentierten wir mit
diversen Sorten, kamen schliesslich auf <Loto>, eine frühreife
Sorte von optimaler Qualität - und das war wie ein Sechser im Lotto.»
Der aus Italien stammende Loto wird Ende April nach den letzten Frösten
gesät und vor der ersten Herbstkälte geerntet. Je nach Bedarf
- im Sommer etwa zwei Mal pro Woche - werden die Felder mit einem fahrbaren
Beregner gewässert. «Verglichen mit überschwemmten Böden
sparen wir so mindestens 60 Prozent an Wasser ein», erzählt
Giger.
Lange Zeit sehen die Reispflanzen wie Gras aus, ab August aber beginnen
sie zu blühen und ziehen zahlreiche Besucher an. Giger muss jedes
Jahr mehr Führungen machen. «Aber irgendwie ist das Interesse
der Leute verständlich», glaubt er. «Reis ist einerseits
etwas Exotisches, andererseits gehört er zur Tessiner Esskultur.»
In den letzten warmen Oktobertagen wird die Ernte mit dem Mähdrescher
eingefahren und Giger ist zufrieden: «Pro Hektar erhalten wir in
guten Jahren um die 3500 Kilo verkaufbaren Reis - das ist fast gleich
viel wie in den Reisanbaugebieten von Italien.» Absatzprobleme gibt
es für das Produkt, das unter dem Namen «Riso Nostrano Ticinese»
auf den Markt kommt und um einiges teurer als Importreis ist, keine. Im
Gegenteil: «Wir erhöhen die Anbaufläche jedes Jahr und
haben doch nie genug.» Wäre Loto auch das Zauberwort für
innovative Bauern jenseits des San Bernardino? Giger winkt ab: «Es
hat ein paar Versuche gegeben und wir haben sogar das Saatgut geliefert.
Aber meines Wissens hat es wegen der klimatischen Bedingungen nirgends
geklappt. Wir sind wohl die nördlichsten Reisbauern Europas.»
Das weisse Korn
Rund um den Reis
Der Reis kam mit den Mauren im 9. Jahrhundert nach Europa. Die Schweizer,
die jährlich 5,2 Kilo Reis essen, bevorzugen als Beilage Parboiled
Reis, der mit Dampf vorbehandelt wird. Für Risotto greifen sie vor
allem zu den Sorten Carnaroli, Vialone und S'Andrea aus Italien. Auch
der Tessiner Riso Nostrano eignet sich vor allem für Risotto.
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