Ausschnitt aus der Coop-Zeitung Nr.39 22. September 2004    
       
       


 

Wie ein Sechser im Lotto


Reisanbau in der Schweiz? Ja! Denn findige Tessiner haben nicht nur eine aussergewöhnliche Anbaumethode, sondern auch eine Marktlücke entdeckt.


Franz Bamert


Wo um alles in der Welt soll hier Reis wachsen? Keine bewässerten Felder, keine Menschen, welche knietief im Wasser stehen. Nur Markus Giger, der mit dem Traktor in der Nähe von Ascona einsam seine Runden dreht und rund 52 ha Land ansät. Giger, bei der «Terreni alla Maggia S.A.» für den Ackerbau zuständig, ist sich die erstaunten Gesichter der Besucher gewohnt. «Der Reisanbau im Tessin ist nicht mit den üblichen und bekannten Methoden in Italien oder Asien zu vergleichen», sagt er und erklärt zunächst geduldig, warum die Tessiner nicht bei Gemüse- und Maisanbau geblieben sind. «Wir sind eine AG und als solche erhalten wir keine Subventionen, müssen also Produkte anbieten, die auf dem Markt einen guten Preis erzielen. So kamen wir 1997 auf den Reis.» Hinter vorgehaltener Hand wurden die Tessiner Neo-Reisbauern damals belächelt, schliesslich braucht Reis eine lange Reifeperiode, viel Wärme und vermeintlich auch viel, viel Wasser - Wasser, das in den sandig-kiesigen Böden des Maggiadeltas gleich versickern würde. «Das alles wussten wir», sagt Giger.
«Aber wir hatten herausgefunden, dass etwa in Sardinien einige Reisbauern wegen Wassermangels auf künstliche Beregnung ausgewichen sind und waren überzeugt, dass das bei uns auch funktionieren müsste.» Blieb noch der vergleichsweise kurze Tessiner Sommer und die Frage, ob der Reis überhaupt genügend Zeit zum Reifen haben würde. «Die Wachstumsperiode des Reises dauert lange und es braucht vor allem in der Blütezeit konstant hohe Temperaturen - sonst gibt es nichts Gescheites», so Giger. «Also experimentierten wir mit diversen Sorten, kamen schliesslich auf <Loto>, eine frühreife Sorte von optimaler Qualität - und das war wie ein Sechser im Lotto.» Der aus Italien stammende Loto wird Ende April nach den letzten Frösten gesät und vor der ersten Herbstkälte geerntet. Je nach Bedarf - im Sommer etwa zwei Mal pro Woche - werden die Felder mit einem fahrbaren Beregner gewässert. «Verglichen mit überschwemmten Böden sparen wir so mindestens 60 Prozent an Wasser ein», erzählt Giger.
Lange Zeit sehen die Reispflanzen wie Gras aus, ab August aber beginnen sie zu blühen und ziehen zahlreiche Besucher an. Giger muss jedes Jahr mehr Führungen machen. «Aber irgendwie ist das Interesse der Leute verständlich», glaubt er. «Reis ist einerseits etwas Exotisches, andererseits gehört er zur Tessiner Esskultur.»
In den letzten warmen Oktobertagen wird die Ernte mit dem Mähdrescher eingefahren und Giger ist zufrieden: «Pro Hektar erhalten wir in guten Jahren um die 3500 Kilo verkaufbaren Reis - das ist fast gleich viel wie in den Reisanbaugebieten von Italien.» Absatzprobleme gibt es für das Produkt, das unter dem Namen «Riso Nostrano Ticinese» auf den Markt kommt und um einiges teurer als Importreis ist, keine. Im Gegenteil: «Wir erhöhen die Anbaufläche jedes Jahr und haben doch nie genug.» Wäre Loto auch das Zauberwort für innovative Bauern jenseits des San Bernardino? Giger winkt ab: «Es hat ein paar Versuche gegeben und wir haben sogar das Saatgut geliefert. Aber meines Wissens hat es wegen der klimatischen Bedingungen nirgends geklappt. Wir sind wohl die nördlichsten Reisbauern Europas.»


Das weisse Korn
Rund um den Reis
Der Reis kam mit den Mauren im 9. Jahrhundert nach Europa. Die Schweizer, die jährlich 5,2 Kilo Reis essen, bevorzugen als Beilage Parboiled Reis, der mit Dampf vorbehandelt wird. Für Risotto greifen sie vor allem zu den Sorten Carnaroli, Vialone und S'Andrea aus Italien. Auch der Tessiner Riso Nostrano eignet sich vor allem für Risotto.

 

 




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